Montag, 31. Januar 2011

29.-31.1.11 München, Effnerplatz, Mae West

In der Nacht von 30. auf 31. Januar wurde auf dem Effnerplatz an Münchens östlicher Ringstraße, die 52 Meter hohe Carbon-Stahl-Skulptur „Mae West“ montiert. Die Stabskelett-Figur der Künstlerin und Düsseldorfer Professorin Rita McBride trägt den Namen von Hollywood-Schauspielerin, Autorin und Sexsymbol Mae West. Die einfache Geometrie der Plastik erlaubt Assoziationen an eine Sanduhr oder den Kühlturm eines Atomkraftwerks oder an einen Eierbecher. Solche und andere architektonische Assoziationen hängen auch mit ihrer imposanten absoluten Größe zusammen. Zunächst einmal scheint sie für den locker, durch niedrige Gebäude und zwei Hochhäuser gerahmten Effnerplatz durchaus geeignet. Sie steht auf einer runden Verkehrsinsel und greift die Spiralbewegung des Mittleren Rings auf, der in einem Tunnel unter ihr verläuft. Eine kleine, weniger dominante Figur wäre sicherlich nicht in der Lage gewesen dem Platz eine Mitte zu geben und als Blickpunkt zu dienen. Wenn zukünftig auch noch die Trambahnen durch die unteren Gestänge der Figur fahren werden, wird „Mae“ die Dynamik des Verkehrsplatzes sicherlich noch überzeugender in sich bündeln.


(1) Oberteil von "Mae West" am 9. Januar 2011
(2) Effnerplatz am 9. Januar 2011

Auf den über 15 Meter hohen Sockel der Figur wurde in einer Nachtarbeitsaktion unter reger Anteilnahme der Öffentlichkeit und voller Verehrssperrung von einem Riesenkran das etwa 36 Meter hohe, symmetrisch taillierte Oberteil von „Mae West“ versetzt und schließlich festmontiert. Da der Gürtelring nicht mittig sitzt, wird eine Sockelzone (mit Trambahndurchfahrten) von der oberen, geometrischen Figur abgetrennt. Somit wird die Konstruktion offengelegt und zugleich ein harmonisches Stehen vermittelt, wobei der obere Teil den Ort bekrönt. Nach dem Abschluss der Bauarbeiten an den U-Bahn-Haltestellen Moosach und Moosacher St.-Martins-Platz stellen die Baumaßnahmen am Effnerplatz einen weiteren Höhepunkt des Münchner Verkehrsausbaus dar.

Bisher gab es kaum Erfahrungen mit derart großen Skulpturen aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) in Verbindung mit Stahl. Lediglich im Sockelteil befindet sich ein Stahlskelett, während die Krone nur aus dem wesentlich leichteren Kohlenstoff besteht. Auf jeden Fall denkt man an Hightechprodukte aus dem Radsport oder der Medizin, für den solche Stoffe bisher reserviert waren. All das war freilich nicht billig. Seit vielen Jahren wurde das Kunst-am-Bau-Projekt unter dem Label "QUIVID" verfolgt und vermittelt. Schließlich wird es wohl über 1,5 Millionen Euro kosten und stellt damit auch Riesenskulpturen, wie den 17 Meter hohen "Walking Man" von Jonathan Borofsky (seit 1995), in den Schatten.


(3) Oberteil von "Mae West" am 30. Januar 2011 gegen 1:45 Uhr
(4) "Mae West"-Baustelle am 30. Januar 2011 gegen 1:45 Uhr

Für Samstag/Sonntag-Nacht 1:30 Uhr war die finale „Hochzeit“ der beiden Hauptkompartimente angesetzt, die wohl aus technischen Gründen, vielleicht war auch der Nebel in der Nacht schuld, nicht mehr zu Stande kam. Das Baureferat spendierte den Wartenden heiße Getränke und Infomaterial in einem Pavillon mit Heizstrahler, während die Temperaturen von -3 auf -12 Grad sanken. Die Presse hatte sich wohl in einen eigenen Pavillon und die angrenzenden Hochhäuser zurückgezogen. Die meisten Schaulustigen und auch zahlreiche Photographen, die sicherlich tausende Photos geschossen haben, verließen die weiträmig abgesperrte Baustelle schon vor fünf Uhr. Von Seiten der Bauarbeiter hieß es dann, dass in den nächsten Stunden wohl nichts mehr passieren würde. Am Sonntagabend wurde der Verkehr bereits zur Prime Time gesperrt. Und dann ging alles sehr schnell. Innerhalb von zwei Stunden versetzte der Riesenkran den annähernd federleichten oberen Aufsatz der Figur.


(5) "Mae West" am 30. Januar gegen 2 Uhr
(6) "Mae West" im Nebel am 30. Januar gegen 5 Uhr

Sicherlich nicht zufällig wurde „Mae West“ an einer urbanistischen Entwicklungszone im Osten der Stadt errichtet, die verkehrstechnisch gut angeschlossen und wirtschaftlich interessant ist. Die dynamische Erscheinungsform von McBrides Schöpfung soll wohl in die Zukunft weisen und zur Aufwertung des Stadtquartiers beitragen. In einem Informationsblatt des Baureferats heißt es: „Die neuartige Mentalität und Konstruktion unterscheiden die Arbeit von den Ingenieurbauwerken des 19. Jahrhunderts – etwa dem Eiffelturm – und machen sie zu einem Produkt unserer Zeit.“ Ob Riesenkonstruktionen an Verkehrsknotenpunkten nach dem Leitbild der autogerechten Stadt wirklich zeitgemäß sind oder ob es sich nicht vielmehr um eine typische Schöpfung des 20. Jahrhunderts handelt wird man in der Retrospektive sicher klarer beurteilen können. Die Integration der Trambahn wird an der Wirkung noch einmal Einiges ändern. Die geometrische Grundform des Hyperboloides erinnert an Architekturen in Schalenbauweise des spanisch/amerikanischen Architekten Félix Candela Outerino, der in den 50er und 60er Jahren mit hyperbolden Paraboloiden u. ä. für Aufsehen sorgte.


(7) "Walking Man" (1995) Leopoldstraße
(8) "Mae West"-Baustelle am 30. Januar gegen 17:30 Uhr

Unbestritten ist die dominante Stellung von „Mae West“ im urbanen Raum. Marco Völklein schrieb am 25. Januar in der Süddeutsche Zeitung: „Von weitem schon sollen die Menschen von der John-F.-Kennedy-Brücke aus oder aus Norden kommend auf der Effnerstraße die Großplastik erkennen können. Und auch Autofahrer, die aus Richtung Südosten den Richard-Strauss-Tunnel verlassen, werden auf Mae West stoßen. Die Großplastik ist nicht zu übersehen. Im Baureferat vergleichen sie das Kunstwerk mit dem Siegestor auf der Leopolstraße oder dem Friedensengel am Isarhochufer.“ Auch wenn man sich ein Schmunzeln kaum versagen kann, ist die Einprägsamkeit, die Bildprägekraft bzw. „imageability“ unbestritten, wie sie der Stadtforscher Kevin Lynch sogenannten „Landmarks“, also Merkzeichen, 1960 in seiner Meistererzählung „The Image of the City“ zuschrieb. Die Großplastik ist sowohl „point de vue“, als auch Autofahrerskulptur, d. h. ein Fixpunkt für einen Verkehrsraum. Lynch nennt solche Knoten- bzw. Brenpunkte „nodes“. Die transitorische Verkehrsfunktion des Effnerplatzes hat nun also auch eine zeichenhafte Ausprägung bekommen, vergleichbar den Bauten am Olympiapark und der BMW Welt.

(9) "Mae West"-Montage am 30. Januar gegen 22 Uhr
(10) "Mae West" gegen 22:30 Uhr

Offenbar erschien den Bau- und Bildkünstlern an der Schwelle zum neuen Jahrtausend – McBride bekam 2003 den Zuschlag – die dynamische Spiralform für Verkehrsräume angemessen zu sein, denn schließlich ziert auch das Unterhaltungszentrum des Münchner Autobauers, ebenfalls am Mittleren Ring gelegen, dieses Sanduhrmotiv – gewissermaßen als riesiges memento mori der unzeitgemäß gewordenen Automobilindustrie. Was wohl Mae West dazu gesagt hätte, dass ihr nun ein phallisches Riesenkorsett gewidmet wurde, durch dessen Schlitze in Zukunft tagtäglich Trambahnen verkehren werden. Schließlich war sie aus Filmen, wie „Night After Night“ (1932), durch ihr loses Mundwerk bekannt. Von ihr stammt etwa der Ausspruch: „Ist das ein Revolver in Ihrer Hose, oder freuen Sie sich nur, mich zu sehen?“ Man wird sehen, ob sich die Bogenhausener langfristig über den Anblick von „Mae West“ freuen werden. Auf jeden Fall hat sich die Künstlerin sehr gefreut, die im Anschluss an die Versetzungsaktion in gepflegtem Ambiente und in lockerer Runde den Abend ausklingen ließ. Die Küche des italienischen Restaurants „Il Galeone“ hat an diesem Wochenende unzählige Schaulustige nicht nur mit Speisen, sondern auch mit Gerüchten versorgt.

Aktuell kümmern sich der Bezirksausschuss 13 Bogenhausen sowie kommunale Stellen um Konzepte für die Freiflächengestaltung.

Vgl. den Blog von arthistoricum.net: "Mae West - Höhenrekord oder Millionengrab"

Siehe auch den Post über die Eröffnung der U-Bahn-Haltestellen Moosach und Moosacher St.-Martins-Platz sowie zur Messestadt und zu den U-Bahn-Haltestellen in Fürsteried und Gern.

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